Theodor Fontane
Theodor
Fontane wird am 30. Dezember 1819 in
Neuruppin, einer kleinen märkischen Stadt
nordwestlich von Berlin, geboren. Seine
Eltern, Louis Henri Fontane und Emilie Labry,
stammen von Hugenotten ab, die Ende des 17.
Jahrhunderts Frankreich wegen ihres Glaubens
verlassen mussten und in Brandenburg
Zuflucht fanden. Sie taufen ihren ersten
Sohn »Henri Théodore«; ins Kirchenbuch wird
er zugleich als »Heinrich Theodor«
eingetragen, und der zweite Vorname wird zum
Rufnamen. Den Stolz auf die hugenottische
Familientradition wird auch der spätere
Schriftsteller bewahren, der seinen Namen,
im Gegensatz zur heutigen Gewohnheit,
französisch (also ohne Endungs-e)
ausspricht.
Fontanes Vater
Louis Henri besitzt die Neuruppiner
»Löwen-Apotheke« in Fontanes Geburtshaus.
Das Geschäft geht jedoch nicht sehr gut, und
als Fontanes Geschwister Rudolf, Jenny und
Max geboren werden, wird die finanzielle
Lage so prekär, dass der Vater die Apotheke
im Jahr 1826 verkauft und mit der Familie
nach Swinemünde an der Odermündung
übersiedelt.
Da die Mutter
dagegen ist, dass Theodor die Swinemünder
Stadtschule besucht, wird er zu Hause von
den Eltern, später von Privatlehrern
unterrichtet. 1832 besucht er kurze Zeit ein
Gymnasium, doch der Vater gibt ihn noch vor
Ende des ersten Schuljahrs in eine Berliner
Realschule und lässt ihn bei seinem
Halbbruder August und dessen Frau
Philippine, genannt »Tante Pinchen« wohnen.
Voll Bedauern über seine bruchstückhafte
Schulbildung wird Fontane viele Jahre später
schreiben: »Das berühmte Wort vom
'Stückwerk' traf auf Lebenszeit buchstäblich
und in besonderer Weise auf mich zu«.
Nach dem Ende
der Schulzeit wählt Fontane den Beruf des
Vaters und wird Apotheker. An professionelle
Schriftstellerei denkt er noch lange nicht;
seine literarische Produktion erstreckt sich
auf wenige Gedichte und Aufsätze über
historische Themen. Die Apothekerlehre kommt
seinen literarischen Ambitionen zugute, und
zwar aus zwei Gründen: Erstens lassen sich
beim monotonen und langwierigen Anrühren der
Rezepturen recht gut Gedichte und sogar
kleinere Prosastücke verfassen, die er dann
in seiner Freizeit zu Papier bringt.
Zweitens unterhält der Apotheker, wie es
damals nicht selten war, einen Lesezirkel:
Neuerscheinungen des Buchmarkts und vor
allem Zeitschriften liegen in seiner
Apotheke aus. Am interessantesten für den
jungen Fontane ist die von Karl Gutzkow
herausgegebene Zeitschrift Der Telegraph für
Deutschland, eines der wichtigsten Organe
des »Jungen Deutschland«.
Während der
Lehrzeit entstehen die Dichtung Heinrichs
IV. erste Liebe und die Erzählungen Du hast
recht getan und Geschwisterliebe. Nur die
letztere ist überliefert, denn sie wird im
Berliner Figaro in Fortsetzungen abgedruckt
damit wird Theodor Fontane im Jahr 1839
nicht nur fertiger Apothekergehilfe, der
Zwanzigjährige ist auch zum ersten Mal als
Schriftsteller öffentlich in Erscheinung
getreten.
Im September
1840 verlässt Fontane Berlin und setzt seine
Apothekerausbildung in Burg bei Magdeburg
fort; 1841 zieht er nach Leipzig weiter. Die
Apotheke fungiert nebenbei als eine
regelrechte Bibliothek, der Inhalt der
Zeitschriften ist ungewohnt: Sachsen besitzt
im Gegensatz zu Preußen seit 1831 eine
Verfassung, und die Zensur ist weniger
streng.
Fontane kommt
in Leipzig mit Menschen in Kontakt, die als
Demokraten eine damals radikale politische
Linie verfechten. Sein immer stärker
werdendes Interesse für England verbindet
sich mit seiner Begeisterung für
demokratisches Gedankengut, und er übersetzt
einige revolutionäre englische
Arbeitergedichte. Für sein eigenes
dichterisches Schaffen wird ihm der
Vormärz-Literat Georg Herwegh zum Vorbild;
und als er schließlich Zutritt zum Leipziger
Herwegh-Klub erhält, bewegt er sich unter
den radikalsten Geistern der Vormärz-Zeit.
Im Juli 1841
wechselt Fontane erneut den Wohnsitz und
nimmt eine Stelle in einer Apotheke in
Dresden an, veröffentlicht aber weiterhin in
der Leipziger Zeitschrift Die Eisenbahn. Als
die Lehrzeit in der Dresdner Apotheke
abgelaufen ist, kehrt er als Gehilfe in die
Apotheke seines Vaters zurück. Die Familie
wohnt inzwischen in Letschin im Oderbruch
ein Provinznest, das nach der Leipziger
Erfahrung auf den jungen Schriftsteller
deprimierend wirkt. Fontane vergräbt sich in
Lektüre, liest und übersetzt Shakespeare
sowie neuere englische Schriftsteller und
versucht sich wieder in kurzen Prosastücken.
Der 23. Juli
1843 wird ein wichtiges Datum für den
23-jährigen Fontane: Sein Freund Bernhard
von Lepel führt ihn bei einem Berlin-Besuch
in den Dichterverein »Der Tunnel über der
Spree« ein. Hier wird Fontane
einflussreichen Persönlichkeiten begegnen,
deren Bekanntschaft entscheidenden Einfluss
auf seinen späteren Lebensweg haben wird.
Der
Dichterverein war 1827 von dem
Schriftsteller und Verleger Gottlieb Saphir
gegründet worden. Der eigentümliche Name des
Klubs soll eine satirische Anspielung auf
den einige Jahre zuvor gebauten Tunnel unter
der Themse sein, eine der Meisterleistungen
der damaligen Ingenieurskunst. Dichterische
Meisterleistungen gehen von diesem Verein
zunächst nicht aus; als Fontane im September
1844 aktives Mitglied wird, findet er jedoch
immerhin eine Reihe illustrer
Persönlichkeiten vor: den späteren
Nobelpreisträger Paul Heyse, Felix Dahn und,
für kurze Zeit, Theodor Storm. Der alte
Eichendorff und Gottfried Keller erscheinen
als Gäste. Bernhard von Lepel, der kurz
darauf auch Fontanes militärischer
Vorgesetzter wird, zählt zu den
tonangebenden Männern des Klubs. Fontane
wendet sich während seiner Tunnel-Zeit bald
von den lyrischen Anfängen in Herweghscher
Manier ab; die Ballade wird nun die für ihn
typische Gedichtform. Im Dezember 1844
erzielt er mit »Der Tower-Brand« den ersten
Achtungserfolg vor den Tunnel-Mitgliedern.
Er wird diesem Verein noch lange treu
bleiben nominell wird seine Mitgliedschaft
21 Jahre dauern.
Im April 1844
tritt Fontane seinen Militärdienst als
Einjährig-Freiwilliger an. Gemeinsam mit
seinem Freund Herrmann Scherz unternimmt er
noch während der Militärdienstzeit eine
erste spontane Reise nach England.
Im Jahr 1845
arbeitet Fontane noch einige Monate bei
seinem Vater in Letschin, bevor er einen
Posten in einer großen Apotheke in Berlin
annimmt. Bei der Geburtstagsfeier seines
Onkelstrifft Fontane eine Jugendfreundin
wieder, Emilie Rouanet-Kummer, die er noch
aus seiner Zeit als Realschüler kennt. Am 8.
Dezember 1845 verlobt er sich mit ihr wie
es scheint, ein überraschender Entschluss.
Doch bis zur Ehe soll es noch fünf Jahre
dauern, denn der angehende Dichter und
Apotheker leidet an chronischer Finanznot.
Dass sich Fontane während dieser fünf Jahre
nicht in mönchischer Lebensweise übt, gilt
als sicher: Man weiß von mindestens zwei
unehelichen Kindern, deren Mutter unbekannt
ist.
Neben der
Tätigkeit in der Apotheke opfert er seine
Freizeit jetzt fast vollständig seinen
literarischen Ambitionen. Er gewinnt immer
mehr die Sympathien des konservativen Teils
der»Tunnel«-Mitglieder, die ihn wegen seiner
Balladen, die die Großen der preußischen
Geschichte verherrlichen, für einen der
ihren halten sicherlich nur mit halbem
Recht, denn Fontane scheint seine Verehrung
für die bewunderten Gestalten der
preußischen Geschichte nicht als Widerspruch
zu seinen demokratischen Überzeugungen zu
empfinden.
Am 2. März
1847 besteht Fontane das Staatsexamen in
Pharmazie und wird zum »Apotheker erster
Klasse« ernannt. Da an den Kauf einer
eigenen Apotheke nicht zu denken ist, tritt
Fontane im Oktober desselben Jahres in die
Apotheke »Zum Schwarzen Adler« ein. Fontane
lenkt nun sein schriftstellerisches Talent
in neue Bahnen, die für lange Zeit die
wichtigsten, weil ertragreichsten bleiben
werden: Er wird Journalist. Einige Artikel
erscheinen in der liberalen Zeitungshalle,
die kurze Zeit später verboten wird
Fontane gerät in den Ruf, ein radikaler
Linker zu sein, und tatsächlich begeistert
er sich eine Zeitlang für die deutsche
Einheit.1848, im Jahr der misslungenen
Revolution, beteiligt sich Fontane sogar an
Barrikadenkämpfen allerdings nur kurz und
ohne sonderlichen Elan. Ab 15. September
kommt es zu einer Anstellung im Krankenhaus
Bethanien, wo er zwei Krankenschwestern in
Pharmazie unterrichtet. Dort arbeitet er an
einigen Balladen und dem Drama Karl Stuart,
das er jedoch nie vollenden wird.
Ein sehr viel
bedeutenderes Werk beginnt Fontane ebenfalls
zu dieser Zeit: seine Briefe. Fontane ist in
seiner Korrespondenz nicht nur ein
brillanter Stilist, er wird auch einer der
fleißigsten Briefeschreiber seiner Zeit
werden man schätzt das Briefwerk, das
heute noch immer nicht vollständig ediert
ist, auf über 5000 Druckseiten. Jeder Brief
beginnt mit einer kalligraphisch verzierten
Anrede und ist, wie alles von Fontanes Hand,
mit einer Schwanenfeder geschrieben.
Ende September
1849 ist die Arbeit in Bethanien beendet.
Fontanes berufliche und finanzielle
Situation ist alles andere als rosig, als er
einen ebenso mutigen wie einschneidenden
Entschlusss fasst: Er gibt die
pharmazeutische Karriere auf und kündigt
sogar der Dresdner Zeitung, die ihm für
seine Berichte immerhin noch ein schmales
Honorar zahlte. In einem kleinen möblierten
Zimmer konzentriert er sich ausschließlich
auf seine literarische Arbeit und produziert
vor allem die bewährten Balladen. Hin und
wieder erreicht er einen Abdruck in einer
Zeitung. Im Dezember 1849 erscheinen seine
ersten beiden Bücher Männer und Helden. Acht
Preußenlieder sowie der Romanzenzyklus Von
der schönen Rosamunde. Im folgenden Jahr
veröffentlicht er einen Band Gedichte.
Das Jahr 1850
bringt eine weitere Wende: Ein
»Tunnel«-Freund verhilft Fontane zu einer
Anstellung im »Literarischen Kabinett«, das
später »Centralstelle für
Preußenangelegenheiten« heißt, einer Art
Propagandaabteilung des preußischen
Innenministers, die der Presse die
,richtigen' Artikel liefern soll. Am 16.
Oktober 1850 heiratet Fontane Emilie
Rouanet-Kummer, und am 14. August 1851 wird
sein erster (legitimer) Sohn George Emile
geboren. Anfang 1852 führt sein Freund
Bernhard von Lepel ihn in den Salon der
Mathilde von Rohr ein. Sie wurde für Fontane
zur Vertrauten in allen schwierigen
Situationen des Lebens und zur wichtigsten
Briefpartnerin.
Die berufliche
Situation sieht Fontane ganz und gar nicht
positiv: »Ich habe mich heute der Reaction
für monatlich 30 Silberlinge verkauft [...].
Man kann nun mal als anständiger Mensch
nicht durchkommen.« Seine Tätigkeit besteht
darin, für die Preußische Zeitung, genannt
»Adler-Zeitung«, die englische Presse
auszuwerten. Fontane erreicht es, dass er
diese Tätigkeit ab April 1852 in London
fortsetzen darf allerdings ohne Gehalt vom
Ministerium, obwohl er offizieller
Presseberichterstatter ist. In London macht
er die Bekanntschaft einer ganzen Reihe von
flüchtigen Aktivisten der gescheiterten 48er
Revolution, die hier Asyl gefunden haben.
Einige Zeit ist Fontane am Tavistock Square
sogar unmittelbarer Nachbar von Charles
Dickens, den er jedoch nicht aufzusuchen
wagt.
Am 25.
September kehrt Fontane nach Berlin zurück,
wo er wieder bei der Pressestelle des
Innenministeriums für die »Adler-Zeitung«
arbeitet. Oktober 1853 verbessert er seine
dortige Stellung und wird zum
England-Spezialisten der Zeitung d. h. er
verfasst aufgrund von Artikeln in englischen
Zeitungen eigene Beiträge über England.
Nebenbei ist er Hauslehrer für die Kinder
besserer Familien. Im Juli 1854
veröffentlicht Fontane ein Buch über seine
Englandreise, Ein Sommer in London, und gibt
zusammen mit seinem Freund Franz Kugler das
erste Jahrbuch des »Tunnels« namens Argo
heraus, zu dem unter anderem Theodor Storm
und Paul Heyse Beiträge liefern. Von ihm
selbst erscheinen zwei Erzählungen: »Tuch
und Locke« sowie »Goldene Hochzeit«.
Anfang
September 1855 tritt Fontane seinen dritten
Englandaufenthalt an, der diesmal drei Jahre
dauert. Zunächst arbeitet er wieder im
Auftrag der preußischen Regierung, wechselt
aber bald, nach Schwierigkeiten mit seinem
Vorgesetzten, zur preußischen Botschaft, wo
er als Presseattaché preußenfreundliche
Artikel in englische Zeitungen lancieren
soll. Zwischendurch reist er nach Berlin, wo
am 2. November 1856 sein zweiter Sohn,
Theodore Henry (genannt »Theo«) zur Welt
kommt, und besichtigt Paris. Im Sommer 1857
gelingt es ihm, ein Haus in einem Londoner
Vorort zu mieten, so dass seine Frau mit den
beiden Söhnen zu ihm ziehen kann. Im August
1858 tritt Fontane mit Bernhard von Lepel
eine Reise nach Schottland an, über die er
in seinem 1860 erschienen Reisebuch Jenseits
des Tweed berichten wird.
Anfang 1859
kehrt Fontane zurück nach Berlin er ist
jetzt vierzig Jahre alt und steht wieder
einmal vor dem Problem des Broterwerbs. Eine
Tätigkeit in der Zentralpressestelle, an der
ausgewählte Jounalisten offiziell über die
Politik der preußischen Regierung informiert
werden, ist wegen einer gut gemeinten
Indiskretion Fontanes nach wenigen Monaten
wieder beendet. Am 21. März 1860 wird seine
Tochter Martha, genannt Mete, geboren.
Erst als ein
weiterer »Tunnel«-Freund, Georg Hesekiel,
sich seiner annimmt, kommt es zu einer
dauerhaften Stellung:Fontane wird ab 1. Juni
Redakteur der erzkonservativen Neuen
Preußischen (»Kreuz-«) Zeitung. Seine
Aufgabe: Er verfasst nach Lektüre von
englischen Zeitungen Artikel über England,
die möglichst so aussehen sollen, als seien
sie von einem Auslandskorrespondenten an Ort
und Stelle verfasst worden. Knapp 10 Jahre
wird Fontane Redakteur bei der Kreuzzeitung
bleiben. 1860 erscheinen Jenseits des Tweed
und Aus England sowie ein Band Balladen,
1861 dann der erste Band der Wanderungen
durch die Mark Brandenburg mit dem Titel
Die Grafschaft Ruppin, 1863 der zweite Band
mit dem Titel Oderland.
Die
finanzielle Lage konsolidiert sich, die
Familie Fontane kann sich jetzt eine
jährliche Sommerfrische leisten. 1864 wird
der letzte Sohn Friedrich (»Friedel«)
geboren. Mitte der sechziger Jahre beginnt
Fontane mit Entwürfen zu seinem ersten Roman
Vor dem Sturm, Ende 1865 erscheint sein
Kriegsbuch Der Schleswig-Holsteinische Krieg
im Jahr 1864, 1870 der erste Band von Der
deutsche Krieg von 1866.
Im Frühjahr
1870 kündigt Fontane bei der Kreuzzeitung
und findet im Sommer eine neue
journalistische Tätigkeit, die ihm erheblich
mehr zusagt und die er bis Anfang der 90er
Jahre fortführen wird: Er wird
Theaterkritiker bei der liberalen und
auflagestarken Vossischen Zeitung.
Im September
lässt er sich beurlauben, um ein Buch über
den im Sommer ausgebrochenen Krieg gegen
Frankreich zu schreiben. Das Buchprojekt
geht auf die Initiative seines Verlegers
zurück, der die Produktion der
detailversessenen militärhistorischen Wälzer
mit erheblich mehr Ehrgeiz verfolgt als der
Autor selbst. Vom Elsaß aus macht sich
Fontane per Eisenbahn in mehreren Etappen
auf den Weg nach Paris. In Domrémy wird er
von einer Gruppe von sogenannten
Franctireurs, einer Art von Partisanen,
verhaftet und beinahe wegen Spionage
angeklagt. Man weiß heute nicht mit
absoluter Sicherheit, auf wessen
Intervention hin es zur Freilassung Fontanes
kommt eine Hypothese besagt, dass Bismarck
persönlich interveniert habe jedenfalls
wird die Anklage gegen Fontane
fallengelassen und er ist, nach einigen
Wochen Ehrenhaft zu Offiziersbedingungen, im
Dezember 1870 wieder frei. Unter dem Titel
Kriegsgefangen veröffentlicht Fontane die
Tagebücher, die in seiner Gefangenschaft
entstanden.
Noch während
des Krieges, am 18. Januar 1871, wird der
preußische König Wilhelm I. im Spiegelsaal
von Versailles zum deutschen Kaiser
proklamiert der Traum des liberalen
Deutschland ist wahr geworden, die
Kleinstaaterei ist beendet.
Nach
Kriegsende, im April und Mai 1871, bereist
Fontane noch einmal das besetzte Frankreich
und veröffentlicht seine Beobachtungen Ende
November unter dem Titel Aus den Tagen
der Okkupation. Über den Krieg von
1870/71 schreibt er ein Buch mit dem Titel
Der Krieg gegen Frankreich, dessen
erster Band 1873, der zweite 1875/76
erscheint.
Zurück in
Berlin, nimmt Fontane die Arbeit an den
Wanderungen und seine Tätigkeit als
Theaterkritiker wieder auf. Am 3. Oktober
1872 bezieht die Familie Fontane eine neue
Wohnung die letzte nach einer langen Reihe
von Umzügen. Bis zu seinem Tod wird Fontanes
Adresse nun »Potsdamer Straße 134 c« lauten.
Das Jahr 1876
bringt noch einmal eine berufliche
Veränderung: Wieder verschafft ihm ein
»Tunnel«-Freund einen Posten, nämlich den
des Sekretärs der Akademie der Künste, der
nicht nur ein Beamtengehalt, sondern auch
eine entsprechende Alterspension eintragen
würde. Doch schon nach wenigen Monaten
bittet Fontane um seine Entlassung, da er
mit der Tätigkeit überhaupt nicht
zurechtkommt.
Das jähe Ende
des Gastspiels als Akademiesekretär hat vor
allem für Fontanes ohnehin von Krisen
gezeichnete Ehe schlimme Folgen. Emilie
fühlt sich persönlich gekränkt durch das
mangelnde Bemühen um eine Sicherung des
Lebensstandards, und sie hat wohl auch
ernstlich Angst vor der Armut. Die Tochter
Mete wächst in eine schwierige Rolle hinein:
Sie ist die Vertraute des Vaters und muss
oft genug zwischen den Ehepartnern
vermitteln. Sie ist in noch höherem Maß als
ihre Eltern mit psychischen Problemen
belastet, die man damals noch als
»Nervosität« bezeichnet, und wird nicht nur
die Stütze, sondern auch das Sorgenkind
Fontanes bleiben.
Erst jetzt, ab
dem 57. Lebensjahr, widmet sich Fontane mit
voller Energie seiner eigentlichen Berufung.
Er arbeitet an dem schon seit langem
geplanten Roman Vor dem Sturm, der im
Oktober 1878 in vier Bänden erscheint. Der
Roman liegt ganz auf der Linie, die Fontane
bereits mit seinen Balladen eingeschlagen
hat; die preußische Geschichte und das
märkische Junkertum geben auch hier den
Stoff ab. Sehr erfolgreich wird dieser Roman
nicht, die meisten Leser empfinden ihn als
langatmig und allzu reich mit Anekdoten
ausgeschmückt.
Das nächste
Buch, die historische Erzählung Grete Minde,
wird erheblich kürzer. Noch vor deren
Erscheinen im Jahr 1880 beginnt Fontane mit
Plänen zu den Romanen L’Adultera, Schach von
Wuthenow und Graf Petöfy. Mit L’Adultera
(zu deutsch: ,Die Ehebrecherin') erscheint
der erste Berliner Ehe-Roman, in dem wir den
heute als typisch angesehenen Fontane-Stil
finden. Der Roman wird nicht sehr günstig
aufgenommen, viele Leser empfinden die
Darstellung als skandalös, und nach dem
Vorabdruck von 1880 dauert es zwei Jahre,
bis Fontane einen Verleger für die
Buchausgabe gefunden hat.
Der Wechsel
von einer journalistischen, beschreibenden
Literaturform zur fiktionalen Romanliteratur
fällt Fontane nicht leicht; letztere
erscheint ihm anfangs noch »so affig und
laffig«, dass die Arbeit an den Wanderungen
für ihn eine Art von Zuflucht bedeutet. 1881
erscheint deren letzter Band (Spreeland),
der die finanzielle Lage der Familie ein
wenig verbessert. 1882 folgen die
Kriminalerzählung Ellernklipp und
Schach von Wuthenow, ein historischer
Roman um die Ereignisse des preußischen
Schicksalsjahres 1806, der einigen Erfolg
erzielt.
Fontane
veröffentlicht jetzt Jahr für Jahr einen
neuen Roman; immer sind mehrere Projekte
gleichzeitig in Arbeit. Graf Petöfy
erscheint 1884, 1885 folgt die
Kriminalerzählung Unterm Birnbaum,
1886/87 Cécile, 1887/88 Irrungen,
Wirrungen, 1889/90 Stine, 1890
wieder eine Kriminalerzählung mit dem Titel
Quitt, 1891 Unwiederbringlich,
1892 Frau Jenny Treibel. Neben den
Romanen entsteht als Auftragsarbeit die
Biographie eines seiner »Tunnel«-Freunde,
Christian Friedrich Scherenberg, die 1884
erscheint.
In dieser
intensiven Schaffensphase gibt es in
Fontanes Leben kaum äußere Ereignisse, mit
Ausnahme des Todes seines Sohnes George am
27. September 1887 an einem
Blinddarmdurchbruch.
Fontane hat
sich inzwischen einigen Ruhm als
Schriftsteller erworben, und zu seinem 70.
Geburtstag am 30. Dezember 1889 bleiben die
Ehrungen nicht aus.
Im Frühjahr
1892 erkrankt Theodor Fontane. Es beginnt
mit einer Erkältung, die sich zur schweren
Grippe verschlimmert und endet mit einem
totalen Nervenzusammenbruch. »Wir erwarten
den Arzt, der immer dringender von einer
Nervenheilanstalt spricht«, schreibt Emilie
Fontane an den Sohn Friedrich. Doch der
Hausarzt, der die psychischen Ursachen der
Krankheit erkennt, empfiehlt Fontane
stattdessen, etwas Leichtes, zum Beispiel
Kindheitserinnerungen zu schreiben. Diese
Kur ist erfolgreich, und im April 1893
beendet Fontane Meine Kinderjahre. Als das
Buch im November 1894 im Verlag seines
Sohnes Friedrich erscheint, wird es ein
großer Erfolg; auch das Buch Von, vor und
nach der Reise aus demselben Jahr, eine
Sammlung von kleinen Geschichten und
Feuilletons, verkauft sich gut. Noch vor
Jahresende beginnt Fontane mit dem nächsten
autobiographischen Buch, Von Zwanzig bis
Dreißig, das 1898 erscheinen wird.
Der große
Durchbruch kommt im Jahr 1895 mit dem Roman
Effi Briest. Beinahe fünf Jahre hat
Fontane an diesem Werk gearbeitet, und es
dürfte einige Mitschuld an dem Zusammenbruch
von 1892 tragen. Doch der Kampf wird
belohnt: Es wird in kürzester Zeit Fontanes
meistgelesenes Buch; in weniger als einem
Jahr kommt es auf fünf Auflagen, und Fontane
kann in sein Tagebuch notieren: »der erste
wirkliche Erfolg, den ich mit einem Roman
habe.«
Neben Effi
Briest ist noch ein zweiter Roman geradezu
zum Markenzeichen Fontanes geworden: Der
Stechlin. Fontane arbeitet bereits daran,
während er den Roman einer Berliner Familie
Die Poggenpuhls schreibt, der 1896
erscheint. Ende 1897 beginnt die Zeitschrift
Nord und Süd mit dem Vorabdruck, und 1898
folgt die Buchausgabe. An den
internationalen Erfolg von Effi Briest kann
Fontane mit diesem Werk, in dem er noch
einmal den Geist des märkischen Junkertums
beschwört, nicht anknüpfen auch wenn es
heute zu den bedeutendsten Werken der
deutschen Literatur gerechnet wird.
In den letzten
Tagen seines Lebens gibt es noch ein
erfreuliches familiäres Ereignis für den
alten Fontane: Seine Tochter Mete, das
Sorgenkind, verlobt sich wider Erwarten doch
noch. Die Verlobungsfeier findet am 16.
September 1898 in der elterlichen Wohnung
statt, die Mutter nimmt nicht daran teil.
Vier Tage danach, am 20. September, scheidet
Theodor Fontane friedlich und ohne
Todeskampf aus dem Leben. |