Friedrich Dürrenmatt
(*1921 -
┼1990)
Lebenslauf
Friedrich Dürrenmatt wurde am 5. Januar 1921
in Konolfingen, einem Schweizer Dorf im
Kanton Bern, geboren. Sein Vater war
protestantischer Pfarrer des Dorfes. Drei
Jahre später kam seine Schwester Vroni zur
Welt. 1935 zog die Familie nach Bern um.
Vermutlich waren finanzielle Gründe der
Anlass dazu. Die Weltwirtschaftskrise machte
sich zu diesem Zeitpunkt auch in der Schweiz
bemerkbar und das mittelständische Bürgertum
wurde ärmer. Friedrich Dürrenmatt besuchte
zunächst das Berner Freie Gymnasium, dann
das Humboldtianum, wo er 1941 die
Maturitätsprüfung ablegte. Er war kein
besonders guter Schüler und bezeichnete
selbst seine Schulzeit als die "übelste"
(Knapp 4) seines Lebens. Die Schule
wechselte er, weil ihm der Unterricht nicht
gefiel, er schlechte Noten hatte und durch
sein Verhalten bei den Lehrern aneckte.
Noch in Konolfingen begann er zu malen und
zu zeichnen, eine Neigung, die er sein Leben
lang verspüren sollte. Er illustrierte
später manche seiner Stücke, verfasste
Skizzen, zum Teil ganze Bühnenbilder. 1976
und 1985 wurden seine Bilder in Neuchatel,
1978 auch in Zürich ausgestellt. Trotzdem
begann er im Jahr 1941 Philosophie,
Naturwissenschaften und Germanistik zu
studieren, zunächst in Zürich, aber schon
nach einem Semester in Bern. Er hatte es mit
dem Studium nicht besonders eilig und
entschied sich wohl schon 1943, nicht die
akademische, sondern die schriftstellerische
Laufbahn einzuschlagen. Sein erstes
veröffentlichtes Stück entstand 1945/46: Es
steht geschrieben. 1947 fand die
Uraufführung statt. 1947 heiratete er die
Schauspielerin Lotti Geissler und sie zogen
nach Ligerz am Bieler See. Die ersten Jahre
bis 1952 als freier Schriftsteller waren
finanziell schwierig für Dürrenmatt und
seine bald fünfköpfige Familie. Dann
besserte sich die finanzielle Situation,
besonders wegen der Aufträge von deutschen
Rundfunkanstalten, aufgrund derer einige
Hörspiele entstanden. Außerdem wird zu
dieser Zeit der Verlag der Arche zu seinem
Stammverlag. Des weiteren begann er
Detektivromane zu schreiben, die zum Teil
als Fortsetzungsgeschichten im Schweizer
Beobachter veröffentlicht wurden. Die
Dürrenmatts bezogen 1952 ihren dauerhaften
Wohnsitz in Neuchatel.
1950 entstand sein Theaterstück Die Ehe des
Herrn Mississippi, mit dem er seinen ersten
großen Erfolg auf den bundesdeutschen Bühnen
verzeichnen konnte. Weltweiten Erfolg
erzielte er mit seiner Komödie Der Besuch
der alten Dame. Die Physiker, er bezeichnete
dieses Werk ebenfalls als Komödie, wurde das
erfolgreichste Theaterstück in der
Theatersaison 1962/63 und 1982/83.
Dürrenmatt erhielt etliche Preise für sein
Schaffen, das neben Theaterstücken,
Detektivromanen, Erzählungen und Hörspielen
auch Essays und Vorträge umfasst. Da wäre
zum Beispiel 1959 der Mannheimer
Schillerpreis, 1960 der Große Preis der
Schweizerischen Schillerstiftung und 1977
die Buber-Rosenzweig-Medaille in Frankfurt.
1969 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der
Temple University in Philadelphia verliehen
und er erhielt Ehrenpromotionen in Jerusalem
und Nizza. In den sechziger Jahren stand
Dürrenmatt mit seinen Theaterwerken auf dem
Höhepunkt seines Öffentlichkeitserfolges.
Dürrenmatt widmete sich auch, teilweise
sogar hauptberuflich der praktischen
Theaterarbeit, erst an Basler Bühnen, nach
einem Herzinfarkt im Oktober 1969 in der
Neuen Schauspiel AG in Zürich, schließlich
in Düsseldorf. Dort fanden auch zwei seiner
Uraufführungen statt, Porträt eines Planeten
und Titus Andronicus. Er inszenierte mehrere
spektakuläre Wiederaufführungen seiner
eigenen Stücke, zum Beispiel Der Meteor
(1964/65) 1978 in Wien.
Besonders in den achtziger Jahren folgte
wieder eine Auszeichnung der anderen, u.a.
der Österreichische Staatspreis für
Europäische Literatur, der
Georg-Büchner-Preis und der Prix Alexei
Tolstoi der Association internationale des
Ecrivains de Romans Policiers.
Dürrenmatt nahm als gesellschaftskritischer
Autor in Essays, Vorträgen und Festreden
Stellung zur internationalen Politik. Er
reiste viel, zum Beispiel 1969 nach USA,
1974 nach Israel und 1990 nach Polen und
Auschwitz. Es entstanden die Sätze aus
Amerika (1970) und der Pressetext Ich stelle
mich hinter Israel (1973). 1990 hielt er
zwei Reden auf Vaclav Havel und Michail
Gorbatschow, die unter dem Titel Kants
Hoffnung erschienen.
Im Jahr 1983 starb seine Frau Lotti.
Dürrenmatt heiratete 1984 die
Schauspielerin, Filmemacherin und
Journalistin Charlotte Kerr. Zusammen
brachten sie den Film Porträt eines Planeten
und das Theaterstück Rollenspiele heraus. Am
14. Dezember 1990 starb Friedrich Dürrenmatt
in Neuchatel.
Frühe
Einflüsse der Umwelt
Dürrenmatt stammte aus einem
protestantischen Elternhaus, einem recht
typischen Hintergrund für Schriftsteller aus
dem deutschsprachigen Raum (z.B. Schiller,
Lessing, Mörike). Die soziale Stellung
seines Vaters hatte ihn in seiner Kindheit
etwas zum Einzelgänger unter der bäuerlichen
Jugend seines Heimatdorfes werden lassen.
Seine Freizeit in seiner Kindheit verbrachte
er mit Streifzügen durch die nähere
Umgebung, mit Fußballspielen und der Lektüre
von alten Sagen und Mythen, genauso wie
Gullivers Reisen, Karl Mays und Jules Vernes
Romanen.
Mit Sicherheit wurde er von dem
protestantischen Glauben seines Elternhauses
beeinflusst. Teilweise wird Dürrenmatt als
Vertreter eines protestantischen Theaters
angesehen, so wie Claudel als Vertreter des
katholischen (Baenziger 137). Sein erstes
Drama Es steht geschrieben ist so gestaltet,
dass es sich "zwischen Brechts epischen
Theater und den mittelalterlichen
Mysterienspielen die Mitte [hält]" (Baenziger
133). Mysterienspiele waren die erste Form
von Theater nach der Antike in Europa, in
denen religiöse Themen für die weitgehend
analphabetische Bevölkerung dargestellt
wurden. Dürrenmatt greift also auf
abendländische Tradition zurück, wobei es
bei Gerhard P. Knapp heißt, "man [habe]
gelegentlich [übertrieben] versucht, ein
protestantisches Glaubensbekenntnis in
Dürrenmatts Werk hineinzulesen" (Knapp 2).
Aufschluss über seine Einstellung kann die
Beschreibung eines seiner Freunde, Teo Otto,
geben. Dieser bezeichnet die Gespräche unter
ihnen als sehr christlich und nennt
Dürrenmatt einen "[Moralisten], der sich
unmoralisch und antireligiös gibt" (Spycher
24).
Es gibt keinen Hinweis darauf, dass
Dürrenmatt während seiner Jugend besonders
an den politischen und gesellschaftlichen
Ereignissen der Zeit Anteil nahm. Die auf
Neutralität bedachte Schweiz wurde etwas
verspätet auch von der Weltwirtschaftskrise
ergriffen und konnte sich einer politischen
Stellungnahme innerhalb Europas nicht ganz
entziehen. Als Zufluchtsort für viele
Künstler, die von den Nazis als entartet
bezeichnet und vertrieben wurden, wurde die
Schweiz aber im Vergleich zu anderen
europäischen Ländern kaum erschüttert. Der
relativ kleine dreisprachige Staat mit den
kulturellen Zentren Zürich, Bern und Basel
im deutschsprachigen Raum ist größtenteils
ein Alpenland. Er ist in Kantone eingeteilt,
die jeder für sich Abstimmungen abhalten
können. Die zum Teil sehr reichen und
mondänen Städte mit sehr liberaler Politik
(z.B. Drogenpolitik) stehen im Gegensatz zu,
nach westlicher Auffassung, rückständigen
Regelungen der ländlichen Kantone. So wurde
in einem kleinen Kanton in der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts schließlich per
demokratischer Abstimmung das Wahlrecht für
die Frauen eingeführt.
Dürrenmatt sagte später, er sei in einem
"[gespenstischen] Idyll" (Knapp 3)
aufgewachsen. Die ländliche Umgebung, die
Jugendlektüre, vermutlich auch die Gedichte
seines Großvaters waren prägend. Sein
Großvater verfasste Werke, die gegen
Kleinbürgertum und Bürokratismus gerichtet
waren. Er musste dafür sogar einmal eine
zehntägige Gefängnisstrafe absitzen. Bei
Dürrenmatt selbst zeigte sich zum ersten Mal
der Drang zur Kritik in seinen frühen
Kabarett-Texten, wo er (tages-)politische
Themen aufgriff.
Sein
beruflicher Werdegang
In der Zeit des Wiederaufbaus nach dem
zweiten Weltkrieg bestand gewissermaßen ein
"Vakuum" ( Knapp 7) in der deutschsprachigen
Theaterwelt. Die wirtschaftliche Not hatte
vermutlich eine finanzielle Grundlage für
das Theater sehr erschwert. Aber die Leere
war wahrscheinlich eher dadurch zu erklären,
dass sehr viele Autoren ins Exil gegangen
waren, die Exilliteratur aber noch kaum
bekannt geworden war. Dürrenmatt gehörte mit
zu den ersten einer Gruppe von Autoren, die
sich mit der gesellschaftlich-
politisch-kulturellen Problematik nach dem
zweiten Weltkrieg befassten.
In einem Nachschlagewerk, Drama zwischen
Shaw und Brecht (1957), wird Dürrenmatt als
die "stärkste Potenz des deutschsprechenden
Theaters unter den Lebenden " (Baenziger
121) bezeichnet. Trotzdem er von den
Kritikern und Literaturwissenschaftlern
gelobt wurde, war er selbst der
Literaturkritik gegenüber sehr negativ
eingestellt. Literaturkritik stellt
Ansprüche, nach denen sich "Literatur nur
noch studieren, aber nicht mehr machen
lässt" (Geissler 74). Er wollte nicht
einzuordnen sein, "[galt] lieber als ein
etwas verwirrter Naturbursche mit mangelndem
Formwillen" (Geissler 73).
Obwohl sein Werk viele verschiedene
Gattungen umfasst, war er am meisten dem
Theater verschrieben. "Ich gebe die
Literatur zugunsten des Theaters auf"
(Dürrenmatt in Der Planet 10). So ist auch
sein erstes veröffentlichtes Werk ein
Theaterstück. Obwohl er "jeden Einfluss
Kafkas auf seine frühen Arbeiten [bestritt]"
(Knapp 4), tauchen in seiner ersten
ungedruckten Komödie, die er als 22-jähriger
schrieb, Kafkas Motive von dem Schloss und
der Ohnmacht gegenüber der technologisierten
Welt auf. Dürrenmatt befasste sich außerdem
intensiv mit der angelsächsischen Literatur.
So wird immer wieder eine Verwandtschaft zu
Thorton Wilder betont.
Vor allem aber studierte er die
Theatertheorien Bertolt Brechts. Ähnlich wie
Brecht möchte er beim Zuschauer eine Distanz
zu dem Geschehen auf der Bühne erzeugen.
Groteske Darstellungen sollen die Realität
verdeutlichen, bildhaft machen, dem
Zuschauer durch die Übertreibung
Erkenntnisse ermöglichen. Dürrenmatt prägt
den Satz, dass den verworrenen und komplexen
Zusammenhängen des 20. Jahrhunderts nur noch
die Komödie beikommt.
Er unterscheidet sich aber deutlich von
Brecht darin, dass er auf der Bühne nicht
Weltanschauungen und Ideologien
präsentieren, noch Theater um eines
bestimmten Stiles willen schreiben will. Die
Personen in seinen Stücken sind nicht da, um
eine Auffassung oder einen Glauben zu
zeigen, sondern "die Aussagen sind da, weil
es sich in [seinen] Stücken um Menschen
handelt, und das Denken, das Glauben, das
Philosophieren auch ein wenig zur
menschlichen Natur gehört" (Geissler 74).
Zum Beispiel schreibt er Frank der Fünfte,
Oper einer Privatbank, ein Stück, das
zunächst an die Dreigroschenoper erinnern
mag. Doch ist bei Dürrenmatt die Musik nur
ein Mittel, den Stoff "komödienhaft,
theaterfähig" (Brock-Sulzer 101) zu machen.
Sie steht im Hintergrund, anders als bei der
konventionellen Oper, auch als bei der
Dreigroschenoper. Dürrenmatt experimentiert
mit der Bühne, sucht nach neuen
Möglichkeiten. Er wird aber nach eigener
Aussage später mit "dramaturgischen Kniffen"
immer sparsamer (in Der Planet 9).
Beim Vergleich von Dürrenmatt und Brecht
werden schnell weitere deutliche
Unterschiede klar. Brecht sieht im Theater
eine Möglichkeit, die Gesellschaft zu
verändern. Er will, dass der Zuschauer in
einer bestimmten Richtung denkt. Seine
Lehrstücke besonders, aber auch die späteren
Werke haben didaktischen Charakter. Seine
Botschaft ist vom Marxismus geprägt. So soll
das Individuum sich der Gruppe unterordnen.
Dürrenmatt bedient sich der epischen Mittel
Brechts, verwehrt sich aber gegen eine
eindeutig belehrende Dramaturgie im
Brechtschen Sinne. Vom Marxismus
distanzierte er sich spätestens nach seiner
Russlandreise 1964 eindeutig.
Andererseits beschreibt Dürrenmatt auch
seine Position zum klassischen Drama. In
einer Theaterkritik über Die Räuber von
Schiller beschreibt er dieses heute als
wirkungslos, da der Zuschauer nicht mehr
erschrecke, sondern klatsche. Die klassische
Tragödie bis Schiller habe in ihrer eigenen
Zeit noch gelten können, weil sie eine Welt
darstelle, die der Realität noch entsprochen
habe. Heute müsse der Autor aber eine List
anwenden, damit sich das Publikum Dinge
anhört, die es eigentlich nicht gerne hört.
So stellt für ihn die "Komödie eine
Mausefalle [dar], in die das Publikum immer
wieder gerät und immer noch geraten wird"
(Geissler 75).
Dürrenmatts
Bedeutung für die Theaterwelt
Dürrenmatt beschäftigt sich mit dem
Protestantismus seines Vaters, studiert aber
selbst Philosophie. In seinem Studium stößt
er auf Nietzsches Lehre, der gesagt hat, es
gäbe keine religiöse Bindung mehr.
Vermutlich von beiden beeinflusst schreibt
Dürrenmatt schon in einem seiner frühen
Prosawerke: "Ich bin ein Protestant und
protestiere. Ich zweifle nicht, aber ich
stelle die Verzweiflung dar" (Spycher 33).
Er selbst bekennt sich zu seinem Vater,
verspürt eine innere religiöse Bindung. In
seinen Stücken geht es auch um Fragen des
Glaubens und der Moral, die aber oft
verbunden werden mit der Entwurzelung und
der depressiven Aussichtslosigkeit der
Menschen im 20. Jahrhundert, das durch
Wissenschaft, Technologie und
Massengesellschaften geprägt ist.
Dürrenmatt gehört zu den bedeutenden
Dramatikern der fünfziger und sechziger
Jahre, die sich noch "um das große
Drama...[und] um seine
gesamtgesellschaftliche oder gar
menschheitliche Relevanz [bemühen]" (W.
Barner 682). Anders als in Deutschland
können die Schriftsteller in der Schweiz
sich den Problemen der Zeit aus einer etwas
weltumfassenderen Perspektive nähern. Sie
sind nicht so unmittelbar wie ihre deutschen
Kollegen von der Schuld ihrer Nation, den
Zerstörungen des zweiten Weltkriegs und dem
Holocaust beeinflusst.
Dürrenmatt möchte dem Zuschauer
Zusammenhänge und Fakten verdeutlichen, ohne
ihn dabei in eine eindeutige politische oder
ideologische Richtung zu drängen. Er ist ein
gesellschaftskritischer Schriftsteller, der
an der antibürgerlichen Kritik der sechziger
Jahre teilhat und sich ‘literarisch aktiv’
an der Politik seiner Zeit beteiligt. Er
kritisiert außerdem das schweizerische
Sozialsytem, das Militär und das helvetische
Moraldenken. In seiner letzten öffentlichen
Rede bezeichnet er die Schweiz sogar als
"Gefängnis" (W.Barner 937).
Laut W. Barner begeht Dürrenmatt den Fehler,
auch in den siebziger und achtziger Jahren
noch "Welttheater inszenieren [zu wollen]"
(683). Die Strömungen der Zeit sind anders
und seine Werke werden nicht mehr so
erfolgreich aufgenommen, da der Verdacht
besteht, er wiederhole seine Ideen nur noch.
Es bleibt aber schließlich ganz eindeutig
festzustellen, dass Dürrenmatt im Laufe
seines Lebens einen ganz eigenen Stil
entwickelt. |